Indikatoren zur Frühaufklärung auf der Wertschöpfungsstufe Stromvertrieb


Risikomanagement ist eine zentrale Aufgabe bei der Energiebeschaffung in Versorgungsunternehmen. Die Bedeutung des Risikomanagements ist, bedingt durch politische Eingriffe, in den letzten Jahren stark gestiegen. Bis zur Einführung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) am 24.04.1998 waren die Risiken für Energie- und Versorgungsunternehmen auf dem deutschen Markt überschaubar. Energieunternehmen hatten bis dahin eine Monopolstellung inne. Lediglich die Preisgenehmigungsbehörden haben den Unternehmen in der Energiewirtschaft Grenzen aufgezeigt.

Risikomanagement in Energie- und Versorgungsunternehmen

Infolge der Marktliberalisierung muss sich jetzt jedes Unternehmen auf Energie- und Versorgungsmärkten behaupten und seine Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Die Auswirkungen von Marktrisiken können nicht mehr durch eine angepasste Preiskalkulation absorbiert werden. Diese Entwicklungen rücken das Risikomanagement in das Zentrum der Unternehmen. Vor allem im Energiehandel versuchen sich die Unternehmen durch eine Vielzahl von Strategien gegen Risiken abzusichern. Der Handel mit Energieprodukten findet an Energiebörsen statt, wo eine effektive Preis- und Mengenfixierung sowie die Vermeidung hoher Transaktionskosten gewährleistet werden.

Für Energie- und Versorgungsunternehmen ist die Absicherung gegen potenzielle Handelsrisiken von existenzieller Bedeutung. Die Gefahr, dass eine Vertragspartei ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt, ist besonders bei OTC-Geschäften latent vorhanden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ausfallrisiken ist insbesondere auf Terminmärkten sehr hoch, da der Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und der -erfüllung meistens von Unsicherheiten begleitet und eine Lieferung bzw. eine Zahlung der Lieferung verhindert werden kann. Zunehmende Diskontinuitäten wie schwankende Rohstoffpreise zwingen Energie- und Versorgungsunternehmen dazu, sich langfristig gegen Preisvolatilitäten abzusichern. Termingeschäfte spielen daher sowohl im operativen, als auch im strategischen Bereich eine tragende Rolle und setzen eine natürliche Risikobereitschaft voraus. Die Messung von Marktrisiken ist in diesem Kontext zentraler Gegenstand des Risikomanagements im Energiehandel.

In der Energiewirtschaft lassen sich Risiken in verschiedene Risikoarten klassifizieren. Im Wesentlichen wird zwischen dem Marktrisiko, dem Kreditrisiko, dem operationalen sowie dem rechtlichen Risiko differenziert. Während Marktrisiken durch das Preisniveau von Finanzprodukten gesteuert werden, entstehen Kreditrisiken durch Nichteinhaltung von Zahlungsverpflichtungen eines Vertragspartners. Operationelle (oder auch operative) Risiken werden durch technische und menschliche Fehler, sowie durch das Verhalten der Führungspersönlichkeiten hervorgerufen. Rechtliche Risiken hingegen können entstehen, wenn die Ansprüche aus einem Vertrag mit einem positiven Marktwert nicht realisiert werden [vgl. BERGSCHNEIDER, C./ KARASZ, M./ SCHUMACHER, R. (1999), S. 206 ff.].

Risikomanagement Energie

Abbildung: Risiken und deren Auswirkungen innerhalb der energiewirtschaftlichen Marktrollen

Von besonderer Bedeutung sind die Risikoauswirkungen der Wertschöpfungsstufe Vertrieb. Der Einsatz von Frühaufklärungsindikatoren soll zur Beherrschung der Risiken im Stromvertrieb durch die rechtzeitige Signalisierung von bestimmten Zuständen beitragen.
Die von der Bundesnetzagentur forcierte Kostenregulierung und die damit einhergehende Reduktion der Netzerlöse rücken die Vertriebsaktivitäten vertikal integrierter Energie- und Versorgungsunternehmen in den Mittelpunkt, da deren Erfolg oder Misserfolg die Unternehmenszukunft prägen [vgl. ZAJICEK, M. (2007), S. 17].

Geeignete Frühaufklärungsindikatoren in der Energie- und Versorgungswirtschaft

Im Wesentlichen handelt es sich bei der indikatororientierten Frühaufklärung um Systeme zur frühzeitigen Erkennung von Bedrohungen und Chancen mit Hilfe geeigneter Indikatoren. Indikatoren werden in der Literatur als Fragmente von Daten und Informationen verstanden, welche auf ein bestimmtes Ereignis hindeuten. Sie fungieren somit als Anzeiger für verborgene Sachverhalte. In ihrer speziellen Ausprägung dienen ökonomische Indikatoren dazu, ökonomische Phänomene zu beschreiben. Gleichzeitig sind sie Basis für die Erstellung von Prognosen. Ein Indikator im engeren Sinne ist keine quantitative Information. Er ist eine Ersatzgröße, deren Ausprägung oder Veränderung die Entwicklung einer anderen Größe projizieren kann. Ereignisse oder Entwicklungen, welche durch einen Indikator angezeigt werden, bezeichnet man als Indikandum.

Zur Messung und Überwachung der Vertriebsaktivitäten müssen eindeutige Steuerungsprinzipien vorhanden sein, welche das Vertriebscontrolling mit Soll-Ist-Abweichungsanalysen integriert [vgl. FAULENBACH, D./ KLOIDT, C. (2007), S. 22]. Indikatoren, welche die Vertriebsleistungen am Kunden messen, können frühzeitig kritische Unternehmensentwicklungen anzeigen. Diese Indikatoren sind gut messbar und lassen Rückschlüsse auf die Entwicklung künftiger Umsätze und des Unternehmenswertes zu.

Absatzmarktorientierte Unternehmensziele erfordern eine Ausrichtung der Unternehmensleistungen am Kundennutzen im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung. Da das Ausgabeverhalten der Stromkonsumenten in Deutschland auf Grund des demografischen Wandels beschränkt ist, wird den Produkten und Dienstleistungen im Stromvertrieb eine hohe Bedeutung zur langfristigen Kundenbindung beigemessen.

Die vorhandene Kundenstruktur und die Kundenentwicklung im Stromvertrieb können als Indikatoren zur Leistungsmessung und Entwicklung von Prognosen herangezogen werden. Die Kundenstruktur signalisiert, inwieweit attraktive Kundengruppen vom Vertrieb angesprochen und ausreichend Neukunden akquiriert werden. Die Kundenentwicklung gibt die prozentuale Veränderung der Kundenzahl zwischen zwei Perioden wieder. Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität stehen in einem engen Zusammenhang. Da die Kundenloyalität einen positiven Einfluss auf den Unternehmenswert ausübt, muss dieser Größe ebenfalls besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die durch die Beschaffungspreisvolatilität und Nachfragevolatilität zum Ausdruck gebrachten Unsicherheiten im Stromhandel eignen sich ebenfalls als Anzeiger potenzieller Risiken. Ein weiterer Indikator zur Frühaufklärung ist die Unternehmensreputation. Im Stromvertrieb ist die Neukundengewinnung überlebensnotwendig. Eine gute Reputation führt zu mehr Effizienz bei der Kundenakquise und sichert nachhaltig den Kundenbestand.

affinis entwickelt Konzepte zum effizienten Management von Risiken in Energie- und Versorgungsunternehmen. Dabei spielt die prozessübergreifende Integration in ein Business Process Management System zur reibungslosen Abwicklung von Geschäftsaktivitäten eine wesentliche Rolle.

 

Literatur:

  • BERGSCHNEIDER, C.; KARASZ, M.; SCHUMACHER, R. (1999): Risikomanagement im Energiehandel: Grundlagen, Techniken und Absicherungsstrategien für den Einsatz von Derivaten (2. Auflage), Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 1999.
  • BREUER, R. (2001): Risikomanagement – Anforderungen, Verfahren und Bedeutung für Energieversorgungsunternehmen, in: Energiewirtschaft im Aufbruch: Analysen, Szenarien, Strategien (4. Auflage), hrsg. von Peter Becker/ Christian Held/ Martin Riedel/ Christian Theobald, Köln: Fachverlag Deutscher Wirtschaftsdienst, 2001, S. 239-249.
  • BRUHN, M. (2012): Marketing: Grundlagen für Studium und Praxis (11. Auflage), Wiesbaden: Gabler, 2012.
  • FAULENBACH, D.; KLOIDT, C. (2007): Eckpfeiler einer wertorientierten Vertriebssteuerung, in: Wettbewerbsorientierter Vertrieb in der Energiewirtschaft: Kalkulation, Controlling, Beschaffung, hrsg. von Christina Köhler-Schute, Berlin: KS-Energy-Verlag, 2007, S. 18-28.
  • GLADEN, W. (2001): Kennzahlen und Berichtssysteme: Grundlagen zum Performance Measurement, Wiesbaden: Gabler, 2001.
  • GLADEN, W. (2005): Performance Measurement: Controlling mit Kennzahlen
    (3. Auflage), Wiesbaden: Gabler, 2005.
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  • MICHAELI, R. (2006): Competitive Intelligence: Strategische Wettbewerbsvorteile erzielen durch systematische Konkurrenz-, Markt- und Technologieanalysen, Berlin, Heidelberg: Springer, 2006.
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  • ZAJICEK, M. (2007): Perspektiven und Handlungsoptionen für EVU zwischen Regulierung und Wettbewerb, in: Wettbewerbsorientierter Vertrieb in der Energiewirtschaft: Kalkulation, Controlling, Beschaffung, hrsg. von Christina Köhler-Schute, Berlin: KS-Energy-Verlag, 2007, S. 13-17.