Prozessuale Implikationen des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende


Relevante Änderungen seitens des Netzbetriebs

Durch die Verabschiedung des „Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende“ am 8. Juli 2016 im Bundesrat, wirkt der Gesetzgeber auf die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit auch auf die Prozesse ein.

Mit der Möglichkeit, die Zählerstände regelmäßig an den Netzbetreiber zu übertragen, kann über Energiedatenmanagementsysteme die Energiebeschaffung optimiert werden, so dass teure Einkäufe am Spot Markt vermieden werden können. Um die Vorteile nutzen zu können, müssen die Prozesse darauf ausgelegt sein, die vorhandenen Daten zu verarbeiten und ggf. zu speichern.[1]

Durch eine gesteuerte Lastverlagerung kann die Netzführung intelligenter gestaltet werden, so dass die Ziele des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende realisiert werden, nämlich Stabilität in den Netzen weiter auszubauen, Lastspitzen durch Lastverschiebung oder -reduktion zu vermeiden und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.[2]

Für die Abrechnung der Netznutzung bedarf es keiner Ablesung mehr durch den Kunden, keinen internen Außendienst oder keines externen Dienstleisters. Damit entfällt das Versenden von Zählerablesekarten oder die Beauftragung eines entsprechenden Technikers, der den Zählerstand abliest.

Auf operativer und strategischer Ebene mussten sich die Netzbetreiber nach dem Inkrafttreten des Messstellenbetriebsgesetz im August 2016 entscheiden, ob die regulatorischen Vorgaben erfüllt werden können und ob das Unternehmen sich auf diesem Markt positionieren möchte.[3] Nur wenige Messstellenbetreiber haben sich am Markt etabliert. Die Wirtschaftlichkeit und die kaufmännische Sinnhaftigkeit des Messstellenbetriebs waren hier ausschlaggebend. Mit der Aktualisierung des Gesetzes im Dezember 2016 ist die Rolle des Messdienstleisters wieder weggefallen. Dafür wurde die Rolle des Messstellenbetreibers neu definiert.[4]

Im Rahmen von Pilotprojekt Roll-Outs wurden Änderungen in den beim Netzbetreiber bestehenden Prozessen analysiert. Die Netzbetreiber sind daran interessiert, die neuen Prozesse mit einem hohen Automatisierungsgrad effizient zu gestalten. Dazu gehört auch die Smart-Meter-Gateway-Administration, welche die Steuerung und Überwachung des Smart-Meter-Systems beinhaltet.[5]

Mit der Einführung der Messlokation (ehemals Messstelle) und Marktlokation (ehemals Entnahme-/Einspeisestelle) wird eine weitere System- und Prozessanpassung notwendig. Energieversorger werden verpflichtet, eine eindeutige Identifikationsnummer für Messlokationen zu vergeben. Die Marktlokations-ID wird flächendeckend bis zum 1. Februar 2018 durch eine zentrale Codevergabestelle generiert.[6]

Ferner sind folgende Prozesse bei den Netzbetreibern durch die Digitalisierung betroffen:

  • Leeranlagenmanagement: Durch die Möglichkeit der Zählerfernablesung werden Verbräuche auf Leeranlagen umgehend identifiziert. Stilllegungen und Leerstände können so automatisiert identifiziert werden.
  • Schaltung: Zähler können in verschiedenen Situationen ab- oder zugeschaltet werden. Denkbare Einsatzmöglichkeiten sind die Abschaltung bei Gefahren auf Kunden oder Netzseite oder der Inkassoprozess.
  • Störungsmanagement: Durch einen sprunghaften Verbrauch können Stromdiebstähle und defekte Geräte identifiziert werden. Auch netzseitige Störungen werden umgehend erkannt und können sofort korrigiert werden.
  • Messung: Erhöhte Messdatenqualität bei der Ablesung und sofortige Lieferung von Zählerständen für Zwischen-, Jahres- oder Schlussabrechnungen. Unplausible Zählerstände können zielgerichteter untersucht werden.

Betroffene Lieferantenprozesse

Auch auf die Prozesse der Lieferantenseite nimmt die neue Technologie Einfluss.

Allem voran sind die Zählerstände für eine Jahresverbrauchsabrechnung ad hoc verfügbar, wenn eine Abrechnung ansteht. Nach wie vor ist der Netzbetreiber für die Zählerstände verantwortlich, aber über eine automatisierte Schnittstelle können die abrechnungsrelevanten Zählerstände in Echtzeit übermittelt werden. Zahlendreher oder die Nennung der Zählernummer als vermeidlicher Zählerstand gehören damit der Vergangenheit an. Durch die verbesserte Datenqualität ist ein Rückgang von Rechnungsreklamationen zu erwarten.

Neben der Visualisierung kann der Kunde sein Verbrauchsverhalten selber auswerten und darauf Einfluss nehmen, was sich positiv auf die Kundenzufriedenheit auswirken kann. Der Endkunde kann seinen aktuellen Verbrauch mit dem des Vorjahres und mit dem durchschnittlichen Verbrauch seiner Kundengruppe vergleichen. Dadurch wird ein Bewusstsein für den eigenen Energieverbrauch geschaffen und damit die Vorgabe aus dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) § 40 Abs. 5 umgesetzt.[7]

Denkbar sind innovative, kundenindividuelle Tarife, auf deren Basis ein Beitrag zur Grundlaststabilisierung geleistet werden kann.

Laut § 40 Abs. 3 des EnWG haben Letztverbraucher seit dem 4. August 2011 die Möglichkeit eine monatliche, viertel- oder halbjährliche Abrechnung vom Lieferanten zu verlangen.[8] Durch die aufwändige Prozesskette von der Zählerstandsermittlung, Plausibilisierung über die Rechnungsschreibung bis zum Versand haben Lieferanten hierfür bisher hohe Entgelte vom Kunden verlangt, wodurch nur wenige Kunden von diesem Recht Gebrauch gemacht haben. In dem gleichen Paragraphen steht darüber hinaus: „[…] Letztverbraucher, deren Verbrauchswerte über ein intelligentes Messsystem im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes ausgelesen werden, ist eine monatliche Verbrauchsinformation, die auch die Kosten widerspiegelt, kostenfrei bereitzustellen“.

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Abb.: Der automatisierte Prozess von der Zählerstandsermittlung bis zur Abrechnung

Fazit

Wie bei vielen Veränderungen ist die Anpassung der bestehenden IT-Landschaft zur Prozessunterstützung grundlegend. Da dies mit hohen Kosten verknüpft ist, lohnt sich eine entsprechende Investition erst ab einer bestimmten Anzahl an Messsystemen, die es für jedes Unternehmen zu ermitteln gilt. Die in dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende definierte Preisobergrenze stellt hierfür eine besondere Herausforderung dar und muss die entstehende Prozess und Materialkosten decken. Alles andere wäre unwirtschaftlich.[9]

Quellen:

[1] Vgl. Kästner, T./Kießling, A. (2009), S. 89.

[2] Vgl. Zeller, M. (2014), S. 78ff.

[3] Vgl. § 2 MsbG (2017).

[4] BK6-16-200 und BK7-16-142 BNetzA (2016), S. 6.

[5] Vgl. Willimowski, I. (2015), S. 2ff.

[6] BK6-16-200 und BK7-16-142 BNetzA (2016), S. 3.

[7] Vgl. § 40 EnWG (2017).

[8] Ebd.

[9] Vgl. Doleski, O. (2017), S. 587.